(3.) Aleander: „Ad nobilitatem Germanicam“ = An den christlichen Adel deutscher Nation , 1520 (WA 6, 404-469)
An den Christlichen Adel deutscher Nation: von des
Christlichen standes besserung: D. Martinus Luther.
Wittenberg : [Melchior Lotter d.J.], 1520. – [47] Bl. ; 4°
Vorlageform des Erscheinungsvermerks: Vuittenberg - Am Ende des Vorworts: Im Tausent funffhundert
vnd zwentzigsten Jar.
Bibliograph. Nachweis: D. Johannes: Luther-Bibliothek, Nr. 51; Benzing
683, VD16 L 3758
Stadtbibliothek Worms / Luther-Bibliothek, Signatur: -Mag- LB 34
Link zum Volltext: (Exemplar der Stadtbibliothek Worms)
Luthers Adelsschrift (Widmung vom 23. Juni 1520 an
seinen Wittenberger Professorenkollegen Nikolaus von Amsdorf, der ihn zum
Reichstag nach Worms begleiten sollte) gehört zu seinen reformatorischen
Hauptwerken aus dem Jahre 1520. Die erste Auflage von 4000 Exemplaren war nach
fünf Tagen vergriffen, so dass noch 1520 eine überarbeitete zweite Auflage auf
den Markt kam. Zahlreiche Nachdrucke belegen den publizistischen Erfolg der Schrift, die auch
in das Niederdeutsche und Italienische übersetzt wurde, von der es aber keine
lateinische Fassung gibt.
Zur Abfassung der Schrift wurde Luther
von unterschiedlicher Seite angeregt: Seine Beziehungen zu romkritischen
Humanisten und Reichsrittern (Ulrich von Hutten), insbesondere die kurz zuvor
eingetroffenen Schutzangebote der Ritter Franz von Sickingen und Silvester von
Schaumburg, spielten eine Rolle. Mit „christlichem Adel“ war allerdings nicht
speziell der Niederadel angesprochen, sondern die Obrigkeit im Reich insgesamt, vor allem der Kaiser und
die weltlichen Landesherren. Einen Anstoß gab weiterhin die kurialistische
Propaganda eines Augustin Alveld und Silvester Prierias, Professor für
thomistische Theologie an der römischen Universität Sapienza, der 1518 im Auftrag Leos X. ein Gutachten gegen die 95
Thesen verfasst hatte (In presumptuosas Martini Lutheri conclusiones de
potestate papae dialogus = Dialog gegen die arroganten Thesen Martin
Luthers die Macht des Papstes betreffend), mit der sich Luther Mitte 1520
auseinandersetzte. Schließlich floss die vielgestaltige zeitgenössische
Kirchen- und Reichsreformdebatte (Gravamina: Beschwerden gegen Papst und
römische Kurie), mit der Luther gut vertraut war, in die Adelsschrift ein.
Die Entstehungsgeschichte der Schrift schlug sich in ihrem Inhalt
nieder. Wird der Papst im ersten Teil noch moderat kritisiert, identifiziert
ihn Luther im zweiten Teil offen mit dem Antichrist. Eine zunehmende
Distanzierung von der spätmittelalterlichen Kirche innerhalb der Schrift lässt
sich auch in der Frage feststellen, welche Instanzen für die Behebung von
Missständen zuständig sein sollten. Setzt Luther im ersten Teil noch auf das
Konzil und nur bei dessen Versagen auf die weltlichen Obrigkeiten, kehrt sich
dieses Verhältnis im zweiten Teil um, indem die Verwirklichung des großen
kirchlich-weltlichen Reformprogramms vor allem in die Hände der weltlichen
Gewalt gelegt wird.
Die große Wirkung der Schrift beruhte vornehmlich auf ihrer Aktualität und
Luthers mitreißender Sprache.
Die ,drei Mauern‘
Die Abschottung der „Romanisten“ gegen Reformforderungen wird mit dem eindrücklichen Bild der drei Mauern (Anspruch auf Oberherrschaft über die weltlichen Obrigkeiten, Monopol normativer Schriftauslegung und Überordnung des Papstes über das allgemeine Konzil) illustriert, mit denen sich Rom umgeben habe. Die Lehre vom allgemeinen Priestertum der Getauftenbildet den Kern der Schrift. Von dieser Basis aus bestreitet Luther die Schlüsselgewalt des Papstes. Dabei sind die Irrtumsfähigkeit des Papsttums und die höhere Autorität des Konzils seine stärksten Argumente gegen römische Ansprüche. Einschränkung des wuchernden Ordenswesens, Abschaffung des Zölibats; Neuordnung des kirchlichen Gemeinwesens (Gemeiner Kasten), schriftorientierte Reform des Theologiestudiums war nur eine der wichtigsten, im Prozess der Reformationseinführung vielfach aufgegriffenen Forderungen Luthers. Für das spätere reformatorische Kirche-Staat-Verhältnis höchst bedeutsam war der Appell an die weltlichen Obrigkeiten, sich der Reform der Kirche anzunehmen.
Armin Kohnle: Art. Adelsschrift (An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung, in: Das Luther-Lexikon hrsg. von Volker Leppin und Gury Schneider-Ludorff, 2. unveränd. Aufl., Regensburg 2015, S. 42f.